Bürgerdienst



Zitat aus dem Jahre 1998

"In einer Gesellschaft mit einer sozialen Grundversorgung für alle Generationen stützt die Gemeinschaft den Einzelnen. Das darf jedoch keine Einbahnstraße sein. Eine Sozialgemeinschaft funktioniert nur auf der Basis gegenseitiger Unterstützung. Wenn die Dienstleistung des Einzelnen nicht mehr monetär leistbar ist, warum nicht per Dienstleistung? Dazu werden wir 'sie' und 'ihn' auch verpflichten können ... müssen. 'Pflichtdienstleistungen' werden zum Thema.

Wir brauchen den Dienst des Einzelnen an der Gemeinschaft: Ein, zwei oder drei 'soziale Jahre', nicht nur im jungen sondern auch im reifen Alter. Warum soll die im Verlauf eines Lebens gewonnene Erfahrung und Sozialkompetenz nicht der Gesellschaft nutzbar gemacht werden? Diese drei Jahre könnte man über das Leben verteilen. Für einen Bürger könnte dies bedeuten: 1 Jahr Wehr- oder Sozialdienst mit 18, 1 Jahr Politik auf Zeit (siehe Kapitel 15.1) mit 40 und 1 Jahr Seniorenbeistand mit 60. So oder so ähnlich."

Wenke, Klaus-Georg; Staatsquote26: Mehr Zukunft-Weniger Staat, WECOM Verlag, Mainz, ISBN 3-9806266-0-1, 1998, S.122

Problemgemengelage - Dilemmata

Die Industriegesellschaft sorgt nicht mehr für Vollbeschäftigung und sprudelnde Steuern. Die Globalisierung hat zwar touristischen Charme, arbeitsmarktpolitisch ist sie dafür gefürchtet und die sozialen Systeme entpuppen sich mittlerweile als auf Dauer unbezahlbar. Die Bürger spüren, daß sich irgendwie die Verhältnisse grundlegend verändern. Die Pflegeversicherung kommt schon wenige Jahre nach ihrer Einführung ins Gerede, das Gesundheitswesen gilt zu-nehmend als unbezahlbar, die Renten als nicht mehr sicher und die Arbeitslosenversicherung als Almosen.

Auf der einen Seite gibt es eine zunehmende Heerschar von Arbeitslosen, andererseits wächst der Bedarf an sozialen wie kommunalen Dienstleistungen. Stillgelegte kommunale Einrich-tungen, nicht instand gesetzte Schulen, fehlende Sozialbetreuer, Kindergärtnerinnen, Lehrer, Krankenschwestern, etc. Allein im Bereich Pflege wird sich der Bedarf an Pflegeleistungen in den nächsten 30 Jahren verdoppeln. Es klafft eine immer größer werdende Bedarfsdeckungslücke.

Die Kommunen sind jedoch 'Pleite'. Sie machen auch keinen Hehl daraus. Ausgerechnet sie sind es jedoch, die die soziale Bedarfsdeckungslücke stopfen sollen, es aber faktisch nicht können.

Es ist wie verhext. Der Bedarf an sozialen Dienstleistungen in den Kommunen wächst und wächst. Die Kommunen haben jedoch kein Geld, um diesen Bedarf zu finanzieren. Gleich-zeitig wächst die Herrschaar derer, die zwar nichts zu tun haben, aber dringend eine Aufgabe bräuchten und obendrein den Kommunen auch noch zusätzliches Geld kosten.

Der Arbeitsmarkt kommt nicht in die Gänge, weil er aufgrund der wirtschaftspolitischen Rah-menbedingungen auch nicht in die Gänge kommen kann. Das ist zwar nicht unbedingt die Baustelle der Kommunen, mit den Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit müssen sie sich jedoch dauerhaft auseinandersetzen. Kreditfinanzierung scheidet in Anbetracht der zunehmenden Staatsverschuldung (zur Zeit: 1,3 Billionen €) aus. Alles starrt auf die Unfinanzierbarkeit des Problems.

Gäbe es keine Arbeitslosigkeit, hätten wir üppige Steuereinnahmen und eine gute Finanzausstattung der Kommunen. Würde die Wirtschaft die hohen und zukünftig noch höheren Abga-benbelastungen für das Sozialsystem verkraften, könnten wir die demographische Entwicklung, den technischen Fortschritt im Gesundheitswesen sowie steigende Renten finanzieren. Dem ist aber schon jetzt nicht so und erst recht morgen nicht so!

Daß die Abgabenlast zu hoch ist, beginnt sich allmählich herumzusprechen. Waren früher die Renten "per se" sicher (Blüm), sind neuerdings nur "bezahlbare" Renten sicher (U. Schmidt 17.8.03). Hier wird auch das bezweifelt und die These vertreten werden: Nur "leistbare" Ren-ten sind sicher. Was ist jedoch unter "leistbar" zu verstehen?

Um die Problemgemengelage zu entflechten sind zwei Problemkreise zu unterscheiden. Problemkreis 1: Koppelung der Sozialen Sicherung an den Faktor Arbeit. Problemkreis 2: Transformation sozialer Solidarität in soziale Dienstleistungen per Geld.

Problemkreis 1: Koppelung der Sozialen Sicherung an den Faktor Arbeit

Das Problem besteht darin, daß das Verhältnis von arbeitenden Menschen zu nichtarbeitenden Menschen zunehmend außer Proportion gerät.

Während derzeit rund drei Beitragszahler für einen Rentner aufkommen müssen, werden im Jahr 2030 drei Beitragszahler voraussichtlich zwei Rentner zu finanzieren haben. Muß heute ein Bürger ¼ seiner Arbeitszeit für die Senioren aufbringen, muß er dann ca. 40% seiner Arbeitszeit für die Senioren aufbringen. Wie er dabei seine Familie ernähren soll, bleibt un-erklärlich. Für privaten Konsum bleibt da faktisch nichts übrig.

Dieser Problemkreis findet seit 2003 zunehmende politische Beachtung. Als Lösung für diesen Problemkreis wird die weitgehende Abkoppelung des Faktors Arbeit von der Finanzierung der Sozialsysteme stehen. Am Ende dürfte dies zu einem Modell führen, das eine knappe solidarische Grundversorgung vorsieht und vom Bürger privat in Richtung Vollversorgung zu ergänzen ist.

Problemkreis 2: Transformation sozialer Solidarität in soziale Dienstleistungen per Geld

Dieser Problemkreis besteht darin, daß die Umsteuerung der Arbeitsleistung eines Normalbürgers auf die Senioren über Geld konstruiert ist. Der Bürger arbeitet, zahlt Steuern und Versicherungsbeiträge. Der Staat und diverse Kassen leiten dieses Geld den bedürftigen Senioren zu. Diese können damit ihre Altersversorgung von Seniorendiensten kaufen und bezahlen. Seniorendienste sind in der heutigen Gesellschaft keine kostenlosen Familienleistungen mehr, sondern gewerbliche, zunehmend professionalisierte Dienstleistungen. Soweit das gängige Grundschema, soweit die heutige Praxis. Sie produziert jedoch systembedingt Folgeprobleme.

Zum einen verteuert die Steuer- und Abgabenlast den Faktor Arbeit derart, daß er weniger nachgefragt wird. Die Steuer- und Abgabenergiebigkeit läßt nach, die Arbeitslosigkeit nimmt weiter zu. Zur Kompensation stiegen bisher die Steuer- und Abgabensätze, eine Teufelsspirale setzte sich in Gang, von der mittlerweile viele ahnen, daß das so nicht weitergehen kann.

Zum anderen sind professionelle Sozialdienstleistungen (z.B. Seniorenpflege) teuer. Sozial-dienstleistungen gelten nicht gerade als Traumberuf. "Freiwilliger" Berufsnachwuchs ist knapp. Ohne die Zivildienstleistenden hätten wir schon längst sozialen Dienstleistungsnot-stand. Dieser Problemkreis wird zwar schon jetzt beklagt, es fehlt jedoch ein zielführender (nachhaltiger) Lösungsansatz für das Problem.

Daß wir das Prinzip der Solidarität in unserer Gesellschaft nicht aufgeben wollen, ist sicher unstrittig. Solidarität heißt jedoch zur Zeit immer nur f i n a n z i e l l e Solidarität. Solange diese leistbar (=bezahlbar) ist, braucht man davon nicht unbedingt abrücken. Wir stellen je-doch fest, daß die finanzielle Leistungsfähigkeit breiter gesellschaftlicher Schichten erschöpft ist, bzw. sich zunehmend erschöpft. Gleichzeitig liegt ein gewaltiges Potential für nicht-finanzielle Solidaritätsleistungen brach. Wir müssen daher über nicht-finanzielle Solidaritätsleistungen der Bürger nachdenken, konkret: Bürgerdienst.

Überholte Verfassungswirklichkeit

Im Grundgesetz ist als einzige gesellschaftliche Dienstverpflichtung der Wehrdienst, bzw. ersatzweise der Zivildienst legitimiert. Diese Dienstverpflichtung dient der Abwehr eines Angriffs von außen und entspringt einer Jahrtausende alten historischen Erfahrung. Die Abschaffung des Frondienstes (nichtfinanzielle Arbeitsleistungen für einen Dienstherren) gilt seit Abschaffung der Sklaverei in unserer Gesellschaft als Errungenschaft. Daß sich unsere Gesellschaft tiefgreifend verändern würde, die Familienorganisation einschließlich der sozia-len Dienst wie Seniorenbetreuung grundlegend ändern würde, ist in unserem Grundgesetz nicht vorgesehen. Von Adenauer wird der Satz überliefert: 'Kinder bekommen die Leute sowieso..' Er - und mit ihm die Gründungsväter unserer Verfassung - kannten keine Pille, keinen Sozialstaat heutiger Prägung, keine erodierten Familien, keine Berufsgruppe 'moderne Nomaden', usw.

In unserer heutigen Verfassungswirklichkeit ist es so, daß bei nichtvorliegender monetären Leistungsfähigkeit (z.B. Arbeitslosigkeit) ein Bürger sich seiner gesellschaftliche Solidari-tätspflicht entziehen und gleichzeitig monetäre Solidarität der anderen einfordern kann (Sozialhilfe). Im Gegenzug fordert die Gesellschaft eine vorliegende Leistungsfähigkeit im Sinne eines Bürgerdienstes nicht ein. Dies gilt bisher als 'unzumutbar'.

Für die in 30 Jahren arbeitenden Menschen wird es zur 'Zumutung', von ihnen zu verlangen, sie sollten nahezu die Hälfte ihrer Arbeitszeit für die dann sozial Bedürftigen arbeiten, wenn gleichzeitig an anderer Stelle ein riesiges Dienstleistungspotential brach liegt. Es ist sogar töricht. Denn die Gesellschaft wird in 30 Jahren so nicht mehr funktionieren, weil das überzogene Einfordern monetärer 'Solidarität' irgendwann zur völligen Überforderung und letztlich zur sozialen Verweigerung führen wird.

Bürgerdienst, verstanden als nichtmonetäre Solidarität mit der Gesellschaft, hilft die Bedarfs-deckungslücke im Bereich sozialer Dienstleistungen nachhaltig zu überbrücken. Wenn man so will, Bürgerdienst kompensiert den Wegfall der traditionellen Familiendienstleistungen und überläßt soziales Engagement nicht mehr dem Zufall. Der klassische Ansatz über Steu-ern und Abgaben wird dies nicht leisten können. Bürgerdienst macht Sinn und sollte daher in die Verfassung aufgenommen werden.

Wie müßte man sich Bürgerdienst vorstellen?

Um möglichst mehrere Ziele (Ergiebigkeit des Dienstleistungsvolumens, Dienstleistungsge-rechtigkeit, Effizienz, Praktikabilität, gesellschaftliche Akzeptanz) gleichzeitig zu erreichen, könnte man sich Bürgerdienst wie folgt vorstellen:

Von jedem Bürger, gleich welchen Geschlechts, verlangt das Grundgesetz z.B. 3 Jahre Bürgerdienst. Dem Bürger werden Optionen geboten, wann, wo in welcher Form er oder sie diese soziale Dienstleistung erbringt. Diese Flexibilität hilft, daß Neigungen und Können ge-nutzt und die persönliche Lebensdisposition im Rahmen der gesellschaftlichen Notwendigkeiten möglichst konfliktfrei gelebt werden kann.

Denken wir uns einen jungen Mann. Er startet im Alter von 18 mit einem Jahr Wehr- oder Zivildienst. Zwischen 35 und 40 leistet er ein Jahr Kommunaldienst, z.B. in der Verwaltung, vielleicht betätigt er sich auch politisch. Mit 60 leistet er Seniorendienst. Eine junge Frau könnte einen ähnlichen Werdegang durchlaufen. Statt Wehrdienst könnte sie in einem Kin-dergarten tätig sein. Später mit 35 würde sie in einer Schule bei der Kinderbetreuung und mit 60 in der Seniorenbetreuung wirken. Da kann man viel pragmatische Kreativität hineinlegen, denn der Bedarf an sozialen Dienstleistungen wächst. Sinnvoll wären früh angelegte lebens-lange Bürgerdienstlaufbahnen: gezielte Ausbildung in jungen Jahren, lebenslange Fortbildung, Fachlaufbahnen. So ließe sich eine fachliche Kontinuität und auch eine gewisse Pro-fessionalität sicherstellen. In einem solchen System würde der hauptberufliche Sozialdienst durch gekaderte Bürgerdienstkräfte ergänzt werden. Die Analogie zur gekaderten Volksarmee ist offensichtlich.

Die oben dargestellte blockweise Ableistung des Bürgerdienstes könnte man sich auch wahlweise auf Monate im Verlauf eines Lebens verteilt vorstellen.

Bürgerdienst - fester Bestandteil der gesellschaftlichen Lebensplanung

Wenn alle Bürger verpflichtet werden, dann wird Bürgerdienst fester Bestandteil der gesellschaftlichen Lebensplanung. Bürger helfen Bürger. Monetär (Steuern und Abgaben) und per Dienstleistung (Bürgerdienst). Da der Großteil sozialer Dienstleistungen nicht mehr per Abgaben und Steuern finanziert zu werden braucht, können Steuern und Abgaben spürbar sin-ken. Arbeitgeber richten sich darauf ein, wie sie sich bisher auf Mutterschaft und Reserveübungen eingerichtet haben. Bürger richten sich darauf ein, wie sie sich auf den Wehrdienst eingerichtet haben. Die Diskussion um die Wehrgerechtigkeit geht in der Diskussion der so-zialen Dienstleistungsgerechtigkeit auf. Wird jemand dauerhaft arbeitslos, könnte er oder sie ab einer gewissen Arbeitssuchzeit zum Bürgerdienst verpflichtet werden.

Auch der Bürgerdienstleistende muß finanziert werden. Dafür sollte es dann ein Bürgergeld aller Generationen geben.

Im Ergebnis erreichen wir eine bessere Bedarfsdeckung sozialer Dienstleistungen, mehr Menschlichkeit, soziale sinnstiftende Beschäftigung statt Drückebergertum. Soziale Dienstleistungen werden somit 'leistbar'.

Deshalb Bürgerdienst!

Download: Bürgerdienst240803.pdf, 143 KB (DIN A4).

Download: Bürgerdienst240803_A3.pdf, 176 KB (DIN A3).

 


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24. August 2003